Kreativ- und Wissensarbeit steht unter Druck: Einerseits leidet die Branche unter ihrer eigenen Historie, andererseits ist die Zukunft aufgrund von Entwicklungen wie künstlicher Intelligenz unsicherer denn je. Bei tochter haben wir uns von Anfang an damit beschäftigt, wie wir Altlasten hinter uns lassen können und ein neues – zukunftsorientiertes, nachhaltiges – Arbeitsnarrativ mitgestalten können. Während wir viele Fragen und Versuche (an-)stellen, hat eine Expertin schon Antworten: Univ.-Prof. Dr. Barbara Prainsack ist Politikwissenschaftlerin, Universitätsprofessorin und Sachbuchautorin. Ihre neueste Buchveröffentlichung trägt den Titel “Wofür wir arbeiten”. Wir haben sie deshalb gebeten, fünf Thesen zur Zukunft der Kreativ- und Wissensarbeit für uns zu verfassen. Warum? Um unser eigenes Handeln und Tun zu reflektieren (“Handeln wir bereits selbst entsprechend dieser Thesen?”) und gleichermaßen mit den Thesen einer Expertin immer wieder neu zu justieren (“Was können wir Neues von diesen Thesen lernen?”).
1. Arbeitswelt statt Arbeitsmarkt
Politiker:innen und Ökonom:innen sprechen typischerweise vom “Arbeitsmarkt”. In mancher Hinsicht trifft diese Aussage zu – in anderer Hinsicht jedoch gar nicht. Wäre Arbeit etwas, das von Marktmechanismen bestimmt wird, dann gäbe es keine großen Informationsasymmetrien und Menschen hätten die Möglichkeit, zu wählen, wann und was sie am Arbeitsmarkt anbieten. Zudem würden Pflegekräfte und all jene Berufe, an denen großer Mangel herrscht, ein Vielfaches dessen erhalten, was sie heute verdienen. Ebenso falsch ist, dass sich die Entlohnung nach der Produktivität der Arbeit richtet; täte sie dies, dann wären die Reallöhne in den letzten Jahrzehnten proportional zu den Produktivitätsgewinnen gestiegen. Arbeit ist kein Markt; Begriffe wie ‘Arbeitswelt’ beschreiben die Realität treffender. Die Bezeichnungen und Worte, die wir verwenden, formen unser Denken und Handeln und wirken sich so auch auf bestehende Machtverhältnisse aus. Arbeit nicht nur als etwas zu betrachten, das dem Gesetz von Angebot und Nachfrage folgt, hat handfeste Folgen: Es bedeutet, Arbeit nicht auf ihren monetären Wert zu reduzieren. In der Kreativbranche würde etwa künstlerische Integrität, Ausdruckskraft und soziale Bedeutung eine größere Rolle in der Bewertung und Anerkennung von Arbeit spielen. Zudem würden in der Kreativbranche tätige Menschen stärker auch als Gestalter von Kultur, Meinungen und sozialen Diskursen wahrgenommen werden.
2. Künstliche Intelligenz wird viele Jobs verändern – und nicht zu Massenarbeitslosigkeit führen
Die Kreativbranche ist in vielerlei Hinsicht besonders: Sie ist schnelllebig, sehr kollaborativ, und sie bietet Flexibilität. Gleichzeitig verlangt sie den Menschen aber auch viel ab: Prekäre Beschäftigungsverhältnisse sind weit verbreitet, und manche Betriebe erwarten ständige Verfügbarkeit. Zu diesen Belastungen für die betroffenen Menschen kommt die Angst davor, dass die eigene Arbeit in Zukunft durch Maschinen gemacht werden könnte. Es gibt gute Gründe, sowohl die utopischen als auch die dystopischen Voraussagen mit Vorsicht zu genießen. Die von manchen so lauthals geäußerte Befürchtung, künstliche Intelligenz (KI) würde hunderten Millionen Menschen ihre Arbeitsplätze kosten, verfolgt offenkundig auch das Ziel, die Angst vor Arbeitslosigkeit am Lodern zu halten. In Zeiten, in denen sich aufgrund der Rekrutierungskrise die Machtverhältnisse zugunsten der arbeitenden Menschen verschieben, ist es für manche praktisch, wenn erstere nicht zu viel fordern. Das KI-Gespenst kommt hier sehr gelegen.
Wie ein Blick in die Geschichte zeigt, folgen solche Debatten häufig einem bestimmten Muster: Privilegierte gesellschaftliche Gruppen schüren Angst vor Technologien, die ihre eigenen Interessen und Vorrechte bedrohen. Das Telefon sei gefährlich, argumentierte man bei seiner Einführung, weil es den ungebildeten Massen die Gelegenheit biete, hinter dem Rücken ihrer Arbeitgeber Aufstände zu planen. Die Kommunikationswissenschaftlerin Carolyn Marvin zeigte in ihrem Buch, dass neue Technologien insbesondere dann als gefährlich eingestuft wurden, wenn sie soziale Hierarchien neu zu sortieren drohten. Durch die Verbreitung der Telekommunikation oder des elektrischen Lichts konnten „die unteren Klassen Barrieren überwinden, die ihnen sonst verschlossen blieben“, so Marvin. Damit soll nicht gesagt sein, dass die Entwicklung (insbesondere generativer) KI alles beim Alten belassen wird – oder soll. Aber die wirklichen Gefahren sind andere als die, die heute im Zentrum unserer Debatte stehen.
Ein Blick in die Geschichte der Automatisierung zeigt, dass neue Technologien einigen wenigen Berufen ein Ende bereiten (wie etwa Wagner oder Fassbinder), die meisten aber ändern: man denke an Bankangestellte oder Radiolog:innen, die heute völlig andere Dinge tun als noch vor zwei Jahrzehnten. Die Nachfrage nach Arbeitskräften in diesen Berufen gibt es nach wie vor. Zudem schafft Technologienutzung immer auch Nachfrage nach neuer menschlicher Arbeitskraft: Wie die Psychologin Lisanne Bainbridge bereits in den 1980er Jahren argumentierte, ist überall dort, wo automatisiert wird, auch menschliche Arbeitskraft nötig, um die Resultate der maschinellen Arbeit zu überwachen und zu korrigieren. ChatGPT macht es vor: Nutzt man das Tool ohne das Korrektiv menschlicher Erfahrung und Intelligenz, geht es oft schief. In Kombination mit menschlicher Expertise hingegen kann es vielen lästige Arbeit abnehmen. Das Problem, das es dabei zu lösen gilt, ist, dass die Produktivitätsgewinne aus dem Technologieeinsatz bisher nicht ausreichend mit den arbeitenden Menschen geteilt wurden. Und dass die Zeit, die durch die Hilfe der Maschinen frei wird, den betroffenen Menschen normalerweise nicht als Freizeit zur Verfügung steht oder anderweitig sinnvoll gefüllt wird. Stattdessen wird die “Lücke” im Zuge der Arbeitsverdichtung sofort mit neuen To-dos gefüllt. Zudem muss sichergestellt werden, dass KI nicht zu mehr Überwachung am Arbeitsplatz führt und damit die Autonomie und Würde der arbeitenden Menschen verletzt.
3. Die Zukunft gehört der Kreativität und anderen menschlichen Fähigkeiten
Pessimist:innen und Optimist:innen unterscheiden sich in ihrer Antwort auf die Frage, wie sich Automatisierung und Digitalisierung mittel- und langfristig auswirken. Während erstere davon ausgehen, dass viele menschliche Arbeitsplätze durch Maschinen ersetzt werden, prognostizieren letztere, dass mittel- und langfristig mehr neue Jobs geschaffen werden als verloren gehen. In einem sind sie sich jedoch einig: Die Arbeitswelt der Zukunft wird andere Fähigkeiten brauchen als es heute der Fall ist. Das so genannte „upskilling“, das in der Fachliteratur typischerweise als Lösung für das Problem der Verdrängung menschlicher Arbeitskraft durch Maschinen vorgeschlagen wird, ist jedoch kein Allheilmittel. „Upskilling“ bedeutet, sich umschulen zu lassen oder sich selbst weiterzubilden, sodass man etwa in einem Mangelberuf beschäftigt werden kann. Aber nicht alle können oder wollen die Fähigkeiten erlernen, die eine Geburtshelferin, ein IT-Spezialist, oder eine Fertigungstechnikerin braucht.
Es ist nicht der einzige Denkfehler; ein weiterer ist, dass die Verantwortung dafür, weiterhin am Arbeits"markt" attraktiv zu bleiben, den individuellen Arbeitnehmer:innen zugeteilt wird.
Zudem unterliegt der Upskilling-Idee ein weiterer Denkfehler: Man geht davon aus, dass die Skills, die heute nachgefragt werden, auch die sind, die in der Zukunft gebraucht werden. Genau das wissen wir aber nicht. Manche Expert:innen glauben, dass IT-Skills immer wichtiger werden; einige schlagen sogar vor, dass Kinder bereits im Vorschulalter programmieren lernen sollen. Für andere trifft hingegen das Gegenteil zu: Unsere Interaktion mit Maschinen wird immer menschenähnlicher; heute braucht man oft nicht mal mehr eine Tastatur benutzen zu können. Zukünftig wird man noch häufiger durch Sprache und Gesten mit Maschinen interagieren. Auch wenn es weiterhin Menschen brauchen werde, die Maschinen entwickeln und programmieren, so sei es für die breite Masse viel wichtiger, jene Fähigkeiten zu kultivieren, die Maschinen (noch) nicht imitieren können: Kreativität, kritisches Denken, und das Lösen sozial komplexer Aufgaben. Wer diese Skills hat, so wird argumentiert, die oder der ist am besten für die Zukunft gerüstet.
4. Mitbestimmung am Arbeitsplatz wird immer wichtiger
Während Demokratie für die meisten Menschen sehr wichtig ist, sehen es viele als selbstverständlich an, am Arbeitsplatz kaum demokratische Mitbestimmungsrechte zu haben. Eine solche Situation ist weder für Arbeitnehmer:innen noch für Arbeitgeber:innen ideal. Ob man die eigene Arbeit selbstbestimmt erledigen kann, hat einen großen Einfluss darauf, ob die Arbeit als sinnvoll und erfüllend erlebt wird. Auch wenn es in jedem Unternehmen Faktoren gibt, die den Rahmen der Selbstbestimmung einschränken, so gibt es doch immer Möglichkeiten, die Mitbestimmung am Arbeitsplatz zu verbessern. Man muss nicht gleich so weit gehen, dass – wie in Kooperativen – die arbeitenden Menschen zugleich auch Miteigentümer:innen sind, die kollektiv alle wichtigen Entscheidungen treffen. Man kann auch an kleineren Stellschrauben drehen.
In kreativen Berufen geht es dabei sowohl um künstlerische als auch um persönliche Selbstbestimmung. Hier kann etwa das Schaffen flacher Hierarchien und kreativer Freiräume und die Förderung offener Kommunikation Mitarbeiter:innen dabei unterstützen, neue Ideen zu entwickeln und selbstbestimmter zu arbeiten. Egal, wo und was in einem spezifischen Unternehmen möglich ist: Mehr Mit- und Selbstbestimmung am Arbeitsplatz hilft dabei, dass Menschen besser und kreativer arbeiten können – und häufig auch länger im Job bleiben. Höhere künstlerische und persönliche Autonomie trägt zudem auch zur Prävention von Burnouts bei. Letzteres ist in einer Branche, in der projektbasierte Arbeit mit engen Zeitplänen zu hohem Arbeitsdruck führen kann, von besonderer Bedeutung.
5. Produktivität muss neu gemessen und bewertet werden
Prinzipiell betrifft diese Entwicklung fast alle Branchen, für die Kreativbranche ist es aber besonders aktuell: Es ist nicht mehr zeitgemäß, Arbeit danach zu bezahlen, wieviel Zeit im Büro abgesessen wird. Hier könnte man einwenden, dass jene, die mit diesem Problem konfrontiert sind, ohnehin zu den Glücklichen zählen – sie haben zumindest eine fixe Anstellung. Trotzdem bleibt die Problematik der falschen Anreize, die man gibt, wenn man physische Präsenz oder digitale Erreichbarkeit mit Erfolg oder Arbeitsqualität gleichsetzt.
Die Kreativbranche ist zu heterogen, um eine Lösung zu formulieren, die für alle passt. Was jedoch quer durch alle Unternehmensformen und Branchen wichtig ist, ist eine Debatte darüber, was gute Arbeit bedeutet: Sowohl für die arbeitenden Menschen als auch für das Unternehmen. Zahlreiche Studien aus unterschiedlichen Weltregionen zeigen, was aus der Perspektive der Arbeitnehmer:innen wichtig ist: Faire Bezahlung, respektvoller Umgang miteinander, und Autonomie in jenen Bereichen, in denen dies möglich ist. Einer der Gründe für die relative Beliebtheit des Homeoffice ist die Tatsache, dass viele dort selbstbestimmter arbeiten können, als es im Büro der Fall ist.
Natürlich ist der Grad der möglichen Autonomie auch durch Erfordernisse beschränkt, an denen nicht zu rütteln ist: In manchen kreativen Jobs sind die einzelnen Arbeitsschritte so stark ineinander verzahnt, dass alle zu bestimmten Zeiten anwesend sein müssen. Verbesserungen des Status Quo sind vielerorts jedoch trotzdem möglich. In vielen Betrieben und Organisationen sind etwa Kernarbeitszeiten festgelegt – ohne dass die Mitarbeiter jedoch jemals gefragt wurden, wie es ihnen mit diesen Zeiten geht. Warum eigentlich nicht?
Ein gemeinsamer Austausch darüber, wann alle anwesend sein müssen und zu welchen Zeiten jede Person flexibel entscheiden kann, ob sie arbeitet oder nicht, würde für Büroarbeiter:innen bereits viel zur Verbesserung der Situation beitragen. Ich empfehle außerdem einen Blick in eine Studie unter der Leitung des Arbeitsökonomen Raj Choudhury, die untersucht hat, was passiert, wenn eine Organisation es ihren Mitarbeiter:innen ermöglicht, nicht nur am Wohnort von zu Hause zu arbeiten, sondern von überall, wo sie möchten – in der eigenen Wohnung, im Sommerhaus der Schwiegereltern, oder im Winter im warmen Süden. Die kurze Antwort gleich vorab: Die Produktivität hat nicht darunter gelitten.
Profilbild (c) Johanna Schwaiger