Sarah Satt
Artikel von Sarah Satt:
Sarah Satt
Artikel von Sarah Satt

Wein in Pappe, Tee in Tablettenform: Verpackungen werden immer innovativer und außergewöhnlicher. Wir von tochter haben gemeinsam mit Food & Beverage Expertin Nina Mohimi Gesprächspartner:innen aus den unterschiedlichsten Bereichen zu einem Packaging-Panel geladen, um gemeinsam Perspektiven auszuweiten und natürlich um zu probieren. Weil wir den Dialog ausweiten und die Perspektiven und Ergebnisse aus der spannenden Diskussion auf keinen Fall für uns behalten wollen, haben wir Sarah Krobath gebeten, diesen Abend für euch aufzubereiten. Mit Getränkekarte, für alle die nicht lesen, sondern selbst trinken wollen.

Vor sieben Jahren hatte ich gemeinsam mit einem Kollegen eine Bio-Getränkekolumne. Jeden Monat empfahlen wir uns zu einem Überthema gegenseitig einen Wein, ein Bier, einen Likör oder Softdrink zum Verkosten und Beschreiben.

Um den Spaßfaktor für die Leser:innen und uns selbst zu erhöhen, schlossen wir jede Kolumne nach Kostnotizen und Einblicken in die Arbeitsweise der Erzeuger:innen mit Empfehlungen dazu ab, woraus, wozu und mit wem das jeweilige Getränk am besten zu genießen wäre: Der kräftige Naturwein aus Banylus sur Mer aus dem Ikea-Glas oder Zahnputzbecher (Wohnungsumzug), der staubtrockenen Rosé zur Melone aus dem Song einer Wiener Soul-Band oder der ungetunte Blaufränker mit dem Chef vom Vinylladen des Vertrauens.

Keine bierernsten Pairing-Tipps also, sondern der Versuch, mittels Assoziationen den Charakter eines Getränks zu vermitteln. Neben Chiantigläsern, Weißweinkelchen und „alles, nur keine Tulpe“ aus den diversen Glashütten wurde ab und an auch das Trinken aus der Flasche befürwortet, wobei es sich ausnahmslos um klassische Wein- oder Softdrink-Flaschen handelte (die einzige Dopplerflasche fiel einer fermentationsbedingten Explosion zum Opfer).

Würden wir unsere Kolumne heute schreiben, sie würde völlig anders aussehen. Zum einen, weil sich der Getränkemarkt weiterentwickelt hat und das alkoholfreie Angebot so groß und bunt ist wie nie zuvor, nicht zuletzt aber wegen der Vielfalt an Gebinden, die unsere wachsenden Ansprüche bedienen und immer öfter auch passable Trinkgefäße abgeben. Im Gegensatz zu Speisen werden Getränke schließlich, wenn nicht direkt aus ihren Behältern konsumiert, dann in bzw. aus diesen serviert sei es die ikonische Coca Cola-Glasflasche, die 0,75 l Craft Beer-Flasche oder die noch junge Weindose.

Getränke sind Trendsetter in Kommunikation und Design – erhalten aber zu Unrecht weniger Aufmerksamkeit als Food und Gastronomie.

Den Assoziationen sind damit keine Grenzen mehr gesetzt.
Das zeigt auch ein von tochter initiiertes und von Nina Mohimi geleitetes Packaging-Panel mit Vertreter:innen aus Gastronomie, Kommunikation, Design und Journalismus. Die Food and Beverage Expertin beschäftigt sich beruflich und privat intensiv mit dem Getränkemarkt, der ihrer Erfahrung nach kommunikationsseitig weniger Aufmerksamkeit erhält als etwa der Food- und Gastronomiesektor. Zu Unrecht, wie sie findet, denn „Getränke sind Food-Produkten bei Packaging, Kommunikation und Branding oft voraus, weil sie sich viel mehr voneinander abheben müssen“, so Mohimi. Das zeige sich bereits im Supermarkt, wo Getränke im Regal dicht beieinander stünden, während Food auf die komplette Fläche verteilt sei.

Sind die Mindestanforderungen – Schutz von Qualität und Geschmack, Haltbarkeit und verpflichtende Informationen zum Inhalt – erst einmal erfüllt, hat eine Getränkeverpackung viele Möglichkeiten, mit Mehrwert aufzutrumpfen. Was bei Design und Ästhetik anfängt, geht bei der Praktikabilität für Transport und Konsum weiter und hört bei der Nachhaltigkeit hinsichtlich Material, Füllmenge und Entsorgung noch nicht auf. Die CO2-Bilanz einer Verpackung ohne ausgiebige Recherche im Vorfeld zu bestimmen, dürfte selbst Branchenkenner:innen schwerfallen.

Geht es aber um die persönliche Wahrnehmung von Ästhetik und Wertigkeit, ist das Urteil jeder Konsumentin so unstrittig wie das eines Marketingprofis, einer Gastronomin oder eines Sommeliers.
Damit Dorothee Bernhard (Restaurant Frau Bernhard) und Robin Preller (Café Kandl) ein Getränk auf die Karte setzen, muss es ihnen persönlich zusagen, zu ihren Lokalen und dem dort vertretenen Publikum passen. Für die Sommeliers Kira Huber (Das Kraus, zuvor Aend) und Dominic Hofer (Mochi) stellt sich die Frage, ob sich eine Verpackung zum (Wein-)Service am Gast eignet und sich ihre Gäste davon vor den Kopf gestoßen fühlen könnten. Food-Journalistin Susanne Jelinek (News & Gusto) nimmt zusammen mit mir die Rolle der kritischen Konsumentin ein.

Für Nina Mohimi sind es gerade diese verschiedenen Zugänge und Bedürfnisse, die das Verkosten und Diskutieren in einer diversen Gruppe wie der unseren spannend machen. Man selbst könne schließlich nicht die Zielgruppe von allem sein.

Wie ist mein erster Eindruck eines verpackten Getränks?
Würde ich es mir kaufen? Es Gästen servieren? Im Restaurant bestellen? Bei welcher Gelegenheit? Fragen wie diese sollen in unserem Panel unterschiedliche Meinungen aufzeigen, ohne den Anspruch auf Repräsentativität zu erheben. Zum Aufwärmen machen Tonics und koffeinhaltige Getränke am Besprechungstisch im tochter-Headquarter die Runde und liefern direkt die erste Erkenntnis des Nachmittags: Egal wie sehr man versucht, den Fokus ganz auf die Verpackung zu legen, lässt sich diese doch nie losgelöst von ihrem Inhalt betrachten.

Content is King gilt eben nicht nur im Onlinemarketing.
Im besten Fall schürt eine Verpackung Erwartungen an den Inhalt, die dieser auch erfüllen kann. Im schlechtesten bleibt selbst das modernste, kreativste und nachhaltigste Packaging eine belanglose Hülle, die am Schluss womöglich auch noch im falschen Recycling-Container landet.

Würde ich es mir kaufen? Bei welcher Gelegenheit? Ausgefallenes Packaging muss auf Inhalt und Konsumsituation abgestimmt sein, um nicht belanglose Hülle oder Müll zu werden.

Alles andere als erwartbar und damit umso unterhaltsamer sind die Kandidaten der nächsten Kategorie.
Die von Nina als „Shapeshifters“ vorgestellten Getränke überraschen mit ihrem ungewöhnlichen, weil nicht flüssigen Aggregatzustand, der wiederum neue, sparsamere Formen des Packagings möglich macht. Ist das Traubenzucker? Nein, bei den auflösbaren Tabletten handelt es sich um Bio-Earl Grey TeaBlobs! Was wie ein Beutel mit Brausepulver gegen Grippe aussieht, stellt sich als Instant Cocktail Craftmix zum Aromatisieren von Alkohol heraus. Und die quadratische Mini-Schokotafel, die man im Café zum Espresso serviert bekommen könnte, macht diesen geradewegs überflüssig – Pocket Latte entpuppt sich als mit Kakaobutter versetzter, in Form gepresster Kaffee.

Beim Hantieren mit den gestaltwandelnden Getränken wird schnell klar, dass sie ihre Stärken am besten unter bestimmten Umständen ausspielen. Wir stellen uns die Kaffee-Schokolade zur Selbstbedienung in einem Hostel vor, prophezeien die Instant-Cocktails als Hit auf jeder Studentenparty und verstauen die platzsparenden Tee-Tabs in unserem imaginären Reisegepäck.

Roland Barthes würde uns wohl zustimmend zuprosten.
Der Theoretiker erkannte Lebensmittel und ihren Konsum schon in den frühen Sechzigern als Kommunikationssystem, das im modernen Leben Situationen und Anlässe kennzeichnet, auf neue Bedürfnisse reagiert und sie gleichzeitig zum Ausdruck bringt. In seinem 1961 veröffentlichten Essay Toward a Psychosociology of Contemporary Food Consumption prognostizierte er, dass Food künftig an Substanz verlieren und an Funktion gewinnen werde.

Während Barthes eine Verschiebung von festlichem und alltäglichem hin zu situativem Konsum (Arbeit, Freizeit und Sport) beobachtete, bieten sich in unserem heutigen Alltag um ein Vielfaches mehr Konsumgelegenheiten – bei Getränken noch mehr als beim Essen, wo der Trend seit Jahren zu Snacks und Mini-Mahlzeiten geht. Ein Wandel, der sich nicht zuletzt anhand der Evolution unserer Getränkeverpackungen nachvollziehen lässt. Was unserem Panel über sämtliche Kategorien hinweg auffällt, ist der große Dosenanteil, vom Hakuma Teegetränk in der nachhaltigen, aber bereits nach dem ersten Schluck unappetitlich zerknautschten Papierdose bis zum alkoholfreien Aperitif Ghia in der edel anmutenden, teilbeklebten Aluminiumdose.

Bis zu 50 Milliarden Getränkedosen werden in Europa jedes Jahr verbraucht.
Neben den typischen Dosen-Passagieren Bier, Soft und Energy Drinks gewinnen die Gebinde aus Aluminium und Weißblech bei Wasser, Wein und neuen Kategorien wie Pflanzendrinks und Hard Seltzer (kohlensäurehaltige alkoholische Getränke) an Bedeutung. Im Gegensatz zu anderen Verpackungen, bei denen Christin Schwendtner, Direction, Art & Ideas, LGBTQ+ bei tochter, einen Trend zu schlichter Eleganz feststellt, sind Getränkedosen meist bunt und auffällig gestaltet. Dass Kombucha, Säfte und alkoholfreie Mixgetränke inzwischen in ästhetischen, wertigen Verpackungen verfügbar sind und nicht mehr an Kindergetränke erinnern, wird allgemein begrüßt.

Die Weinverpackung als Typfrage.
Es sind die alkoholischen Getränke, allen voran das Traditionsprodukt Wein, bei denen die Glasflasche nach wie vor als wertigstes Gebinde wahrgenommen wird. Allerdings finden sich im Panel auch Fürsprecher:innen für die leichte, flache Kunststoffflasche aus recyceltem Plastik von Château Galoupet Nomade 2021 (Assoziationen: „XL-Shampooflasche“, „ohne Auto gut transportierbar“), den bedruckten tragbaren Kunststoff-Pouch, in dem Katharina Wechsler und Kai Schätzel ihren Riesling abfüllen („Seifenspender“, „Wein aus dem Euter“), und die Bag-in-Box Lösung vom Weingut Rebenhof („Blutkonservenbeutel im Karton“). Im High-End-Segment wird uns die Glasflasche beim Wein noch länger begleiten, ist Nina Mohimi überzeugt.

Gleichzeitig würden neue, weniger etablierte Winzer:innen aus Marketing-, Kosten- oder Lagerungsgründen auf alternative Verpackungen umstellen und bestehende Weingüter ihre Überproduktion beispielsweise in Dosen abfüllen, um sie so an andere Zielgruppen zu vermarkten.

Bei den Spirituosen tun sich Mini-Dosen wie jene des Pocket Negroni von Whitebox und Mini-Gläser mit Alu-Abziehdeckeln wie beim Ozeki Sake Cup Mini als praktische Single-Serve-Alternativen zu den gängigen Hausbar-Schwergewichten hervor. Fragt man Organisatorin Nina Mohimi nach ihrem persönlichen Highlight, kommt sie auf die When in Rome Weinflasche aus Karton nach dem Bag-in-Box-Prinzip zu sprechen, die im Vorfeld vier Monate im Zoll festgehangen ist: „Die Idee finde ich sehr innovativ und bemühter als ungebrandete Bag-in-Box Kartons, die Haptik ist allerdings fürchterlich.“

Dann doch lieber Beutel in bedruckten oder geprägten Kartons, finden einige Teilnehmer:innen – vorausgesetzt, das passt zu Winzer bzw. Winzerin. Steht man als Gastgeber:in hinter einem Produkt und dessen Packaging, sind die Gastronom:innen unter uns überzeugt, kann man es auch verkaufen. Was die Weinboxen zum Zapfen betrifft, ist jedenfalls noch Luft nach oben: 2021 machte der weltweite Anteil von BiB-Weinen am Welthandel wertmäßig gerade einmal 2 % und mengenmäßig 4 % aus.

Neuartige Verpackungsmaterialen signalisieren den Trend zu Transparenz, Vielfalt und ganzheitlichem Denken.

Neue nachhaltige Verpackungsmaterialien, ist man sich in der Runde einig, haben großes Potenzial, machen aber nur Sinn, wenn ihre Entsorgung praktikabel ist und sie letztendlich auch verwertbar sind. Laut Buying Green Report 2022, der jährlich vom Verpackungshersteller Trivium veröffentlicht wird, suchen 54 % der Konsument:innen auf Verpackungen aktiv nach Informationen zu Recycling und Nachhaltigkeit. Da der Platz auf den Packungen selbst stark begrenzt ist, empfehlen die Verfasser:innen des Reports einen ganzheitlicheren Ansatz: Marken sollen Packaging-Materialien als Teil der Geschichte betrachten, die sie auf ihrer Website und über andere Marketingkanäle erzählen.

"Jedes Mal, wenn neue Materialien entwickelt werden, müssen auch wieder neue Wege und Systeme für deren Abbau gefunden werden“, gibt Christin Schwendtner zu bedenken. Nicht alles aus Plastik sei schlecht, nicht alles aus Papier automatisch gut. Was es der Designerin zufolge braucht, um Konsument:innen ungewohnte Verpackungsformen schmackhaft zu machen, ist Feingefühl. Sie könne sich etwa Wein-Pouches aus modelliertem Kunststoff vorstellen, die dank einer bewussten Formgebung nicht mehr Gefahr laufen, mit Seifenspendern verwechselt zu werden.

Ein Blick in die Glaskugel.
Ob im Marketing, im Handel oder in der Gastronomie, wer mit Getränken arbeitet, kommt um das Zukunftsthema Packaging schon jetzt nicht mehr herum. Aber auch der restliche Food-Sektor profitiert von der Auseinandersetzung damit, betont Nina Mohimi: „Von Packaging lässt sich sehr gut ableiten, was thematisch gerade relevant ist. Ob über Design, Botschaften, Anleitungen oder Materialien – die gängigen Verpackungen sagen viel über den Status der Kommunikationswelt aus.“

Ein Thema, das aus meiner Sicht künftig beides noch stärker prägen wird, ist Transparenz.
Konsument:innen fordern zu Produkten immer mehr Informationen ein – über die verantwortungsvolle Beschaffung der Zutaten, gesundheitliche Benefits und zu den Nachhaltigkeitsstrategien der Produzent*innen. Unternehmen, die diese Bringschuld erfüllen und ihre Kundschaft proaktiv aufklären, werden im Vorteil sein.

Das Überangebot an Siegeln, sieht Christin Schwendtner hierbei als kontraproduktiv. Für Konsument:innen sei es nicht mehr verifizierbar, welche Siegel kontrollierte Gütesiegel und welche „hausgemacht“ sind. Viel mehr ginge es darum, ein bestimmtes Mindset über das Design zu vermitteln.

Der Mindful Drinking-Trend wird uns in den kommenden Jahren eine regelrechte Flut an interessanten, alkoholfreien Alternativen und Getränken mit geringem Alkoholgehalt bescheren. Eine bewusstere Trinkkultur birgt auch das Potenzial für mehr Bewusstsein bei der Getränkewahl – in Bezug auf biologische Zutaten, regionale Erzeugung und Abfüllung oder plastikfreie, recycelbare bzw. kompostierbare Verpackungen.

Nicht zuletzt veranlasst die steigende Umweltverschmutzung durch Einwegplastik Getränkeunternehmen, allen voran unter Druck geratene Giganten wie Coca Cola oder Nestlé, in den kommenden Jahren auf recycelbare PET-Flaschen (rPET) umzustellen und die Entwicklung von kompostierbaren Materialien voranzutreiben. Der Spielraum für innovative Getränke in ebenso innovativem Packaging ist so groß wie nie zuvor. Wie auch immer die Produkte von morgen aussehen mögen, sie wollen entsprechend gestaltet, vermarktet und kommuniziert werden, damit die richtigen Assoziationen nicht nur in den Getränkekolumnen sprudeln.

Sarah Krobath geht als Autorin, freiberufliche Texterin und Kulinarikredakteurin den Fragen rund um die schönste Hauptsache der Welt auf den Grund. Wer Appetit auf ihren Debutroman bekommen hat: Miss en Place

Nina Mohimi ist textrovertierte Food & Beverage Marketing Expertin und Trend Researcherin aus Wien. 

Portrait Sarah Krobath © Ingo Pertramer

 

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Die Getränkekarte fürs eigene Tasting kann durch Klick auf "Download" heruntergeladen werden.

Sarah Satt | 2.4.2023