Pieter Owen
Gastkommentare von Pieter Owen:
Pieter Owen
Gastkommentare von Pieter Owen

Just One, Zombicide und Privacy als Business Event: Pieter Owen hat uns letztes Jahr geholfen, als Unternehmung spielerischer zu werden. Während wir unser Glück an oben genannten Brettspielen versuchten, erklärte er uns seine Theorie der Playful Minds, ihre Relevanz für den wirtschaftlichen Kontext und warum er Gamification kritisch sieht. Wir bleiben im Spiel und finden: Alle Unternehmen sollten spielerischer werden. Darum haben wir Pieter gebeten, seine Perspektive zur Playfulness und seine persönliche Reise zum Thema zu verfassen.

Vor ein paar Jahren spielte ich ganz zufällig mal wieder ein Brettspiel und war völlig überrascht vom Qualitätssprung, der offensichtlich seit “Siedler von Catan” stattgefunden hatte. Als Kind habe ich Brettspiele geliebt und bis in die Studienzeit habe ich noch gelegentlich gespielt, aber irgendwann hat es mich einfach nicht mehr interessiert.

In den 2000er Jahren wurden Brettspiele zusammen mit Schallplatten und Analogkameras in den Keller geräumt oder gleich weggeworfen, um Platz für neue digitale Gadgets zu schaffen. Aber eine über 5000 Jahre alte, zutiefst menschliche Kultur verschwindet nicht einfach so von heute auf morgen. Sie passt sich an und entwickelt sich weiter.

Weltweit vernetzten sich Brettspieler*innen und vermischten Genres, Mechaniken und Philosophien. Aus der Verbindung von effizienzgetriebenen “Eurogames” und erlebnisorientiertem “Ameritrash” wurde schließlich das moderne analoge Game Design geboren und das “Golden Age of Board Games” eingeleitet.

Ich war davon so begeistert, dass ich erst privat und dann auch beruflich Spieleabende organisierte, 2019 gemeinsam mit ein paar Freunden den Verein Paradice gründete und die erste “Paradice Board Game Night” im Hotel magdas veranstaltete. Im Jänner 2020 gingen wir noch einen Schritt weiter und eröffneten gemeinsam mit der Ottakringer Brauerei die “Paradice Board Game Bar” am Yppenplatz mit über 1000 Brett-, Karten- und Rollenspielen, 18 Biersorten und kompetenten “Game Gurus”, die den Gästen Spiele empfehlen und Regeln erklären.

Ich beobachtete zu dieser Zeit immer deutlicher die positiven Wirkungen des analogen Spielens und der gelebten Playfulness: Sie erzeugt Playful Minds. Sie verbessert die eigene Entscheidungsfähigkeit und die Bereitschaft, kontrollierte Risiken einzugehen, stärkt Flexibilität und Resilienz, fördert Kooperation und Empathie und bietet unendlich viel Inspiration für Innovationen und Storytelling.

Analoge Playfulness wirkt sich nachweislich positiv auf Menschen aus und erzeugt Playful Minds.

Dieses Wissen wollte ich unbedingt an andere weitergeben und plante schon Team Events, Strategy Workshops und Playfulness Trainings …

Aber dann kam Corona.

Die Pandemie war die 1 auf dem 1.000.000-seitigen Würfel. Lockdown. Game Over. Aber Playfulness heißt auch, geduldig die eigene Hand zu verbessern und in den richtigen Momenten die besten Karten zu spielen.

“Playfulness ist eine innere Haltung, die einer hyperkomplexen Umwelt mit Improvisation, Imagination und Inspiration begegnet. (...) Eine spielerische Herangehensweise blendet die Komplexität nicht aus und versucht stattdessen, einen spielerischen Zugang dazu zu finden.” schreibt das “New Work Glossary” des Verlags Neue Narrative.

Playfulness bedeutet für mich, Rahmenbedingungen und Regeln zu verstehen und spielerisch herauszufinden, wie man sie biegen und brechen und zum eigenen Vorteil nutzen kann. Playfulness schärft den Blick für alles, was zum Erreichen unserer Ziele verwendbar, verwertbar, veränderbar und verhandelbar ist - was playable ist.

Geduld und Flexibilität zahlten sich aus: Paradice wuchs trotz massiver Einschränkungen auf fast 60 Mitglieder und über 20 freiwillige Game Gurus, Game Master und Supporter:innen an und 2022 konnte ich endlich die ersten Team Events durchführen. Für Unternehmen wird Playfulness immer interessanter, weil sie eine Verbesserung der Moral, mehr Produktivität, Innovation und Kooperation sowie Stressabbau bei den Mitarbeiter:innen verspricht.

Das Zukunftsinstitut schrieb schon 2017 im Report “Playful Business” über Playfulness als Verspieltheit im Sinne intellektueller, emotionaler und organisationaler Flexibilität und als Antwort auf die vielen Herausforderungen von Change-Prozessen. Der Report geht auf die Gegensätze von Game / Ludus (regelgebundenes, zielorientiertes Spiel) und Play / Paidia (freier, neugieriger Spieltrieb) und beschreibt die Verbindung von beidem im Konzept der “Playful Gamification”, mit dem Playfulness im Unternehmen etabliert werden könne.

Leider bietet das Konzept nur recht unkonkrete und ausnahmslos digitale Umsetzungsbeispiele. Das Konzept der Gamification ist außerdem - auch wenn es Playful genannt wird - problematisch, weil die “Übertragung von spieltypischen Elementen und Vorgängen in spielfremde Zusammenhänge” auch hier vor allem eine Steigerung der Produktivität erwartet. Ein Spiel stirbt aber in dem Moment, in dem die Spielenden bemerken, dass es nicht um sie als Menschen geht, sondern um ihren Output als menschliche Ressource.

Playfulness als Verspieltheit im Sinne intellektueller, emotionaler und organisationaler Flexibilität und als Antwort auf die vielen Herausforderungen von Change-Prozessen.

Playfulness ist kein Tool, das im Unternehmen eingesetzt werden kann, um noch mehr aus der Belegschaft herauszupressen oder um den Pressvorgang möglichst human zu gestalten. Playfulness ist ein Mindset, das bei spielenden Menschen entsteht, wenn man sie in freien Spielräumen außerhalb spielfremder Zusammenhänge einfach mal spielen lässt.

Es gibt zigtausend analoge Brett-, Karten- und Rollenspiele, mit denen wir immersive, gemeinsame Welten erschaffen können, in denen wir Abenteuer erleben, Rätsel lösen, Herausforderungen meistern, handeln und verhandeln, uns verschwören oder kooperativ die Welt retten. In diesen Welten treffen wir auf Chaos und Menschlichkeit, biegen Regeln und Wahrscheinlichkeiten und lernen, was der Unterschied zwischen Zielen und Erfolgen ist. Hier können wir unsere Playfulness ausleben, ohne darüber nachdenken zu müssen, wer davon profitiert.

Nach und nach entwickeln die Spielenden ein Playful Mind und können mit dem Ernst des Lebens verspielt, neugierig und experimentierfreudig umgehen. So wie wir in den letzten Monaten mit ChatGPT gespielt haben, können wir auch mit vielen anderen Neuheiten und Veränderungen in der Welt umgehen. Playful Minds werden mit jeder neuen Technologie und jeder disruptiven Innovation wichtiger werden und können in Zukunft den entscheidenden Geschwindigkeitsvorteil bei der Entwicklung neuer Ideen bringen.

Playfulness ist kein Tool, das im Unternehmen eingesetzt werden kann, um noch mehr aus der Belegschaft herauszupressen oder um den Pressvorgang möglichst human zu gestalten.

"Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.” wusste schon Friedrich Schiller. Menschen, die ihre Verspieltheit wiederfinden wollen, müssen nicht gleich Playfulness Trainings oder Team Events buchen.

Sie können auch einfach einen Spieleabend mit den Kolleg*innen planen, oder sie kommen in die “Paradice Board Game Bar” oder zu einem unserer offenen Events. Seit Anfang 2022 können wir zum Glück wieder ohne Unterbrechungen und Einschränkungen agieren und wir veranstalten inzwischen sogar Board Game Nights in mehreren IKEA Stores für über 500 Gäste. Playfulness erzeugt auch Gemeinschaften, die ihren Spielraum weiterentwickeln wollen und Paradice wäre undenkbar ohne unsere starke Community, die von der Mission angetrieben wird, neue Spielräume zu schaffen, analoge Spielkultur zugänglich zu machen und immer mehr Menschen durchs Spielen zusammenzubringen.

👀

Welcome to Paradise! Im Spieleparadies, der Paradice Board Game Bar, am Yppenplatz wählt man aus über 1.000 Spielen aus und lässt sich von Game Gurus beraten. 
Auch wir spielen weiter: In einer 6-teiligen Spiele-Serie widmen wir uns gemeinsam mit Pieter Owen an sechs Abenden im Paradice verschiedenen Aspekten der Playfulness.

Pieter Owen ist Marken- und Kommunikationsstratege in Wien, Vorstandsmitglied bei Strategie Austria, Strategic Advisor beim Creative Incubator Stories for Good und Gründer des Vereins Paradice.

Portrait Pieter Owen © Bettina Löb
Header-Bild © Jolly Schwartz

Pieter Owen | 1.4.2023