18.1. ist Breaking Day: An diesem Tag haben statistisch gesehen die meisten von uns ihre zu Beginn des Jahres gefassten Intentionen bereits wieder fallen gelassen. Wie können Menschen und Unternehmen vorgenommene Veränderungen nachhaltig umsetzen? Ein Impuls-Gespräch mit Michael Holzer, das wir natürlich völlig geplanter Weise genau zwei Monate nach dem Breaking Day veröffentlichen.
Stefanie Fellinger: Das neues Jahr startete und mir begegnete überall das Wort Intention. Aber was ist denn eigentlich eine Intention?
Michael Holzer: Die Intention steht am Anfang von allem. Sie ist der Grundantrieb des Lebens, die Skizze von etwas, das wir beabsichtigen oder anstreben. Intentionen sind eine Auswahl und Festlegung. Wir alle haben Intentionen, wir alle brauchen Intentionen, sonst passiert kein Handeln. Es gibt sie individualistisch und kollektiv, nach außen und nach innen gerichtet. Entscheidend ist immer die Frage: Was unternimmt man, um eine Intention zu kultivieren, zu aktivieren und sie ins Leben zu bringen?
SF: Wie funktioniert die Intention in einem Unternehmen?
MH: Die Intention ist die Startlinie, die aber gleichermaßen auch definiert, wo die Ziellinie ist. Sie ist wie ein gesunder Stressor für uns. Was wir nicht brauchen ist extrem hoher Stress auf Dauer, aber wir brauchen etwas Stress, um vital zu bleiben. Deshalb betreiben wir Sport oder wenden Atemtechniken an: Wir setzen kleine Stressreize und das System wird mit der Zeit allgemein kompetenter, mit Stress umzugehen.
Intentionsbildung in Unternehmen ist eine Frage der Führungskultur: Das tradierte System, in dem eine Person oder ein kleiner Kreis allein die Richtung für alle vorgeben, stößt an Grenzen. Gute Führung ermöglicht, dass möglichst viele individuelle Perspektiven in organisationale Intentionsbildung einfließen, Mitarbeiter- oder Kundenbefragungen sind etwa ein Beispiel dafür. Der Balanceakt ist, Entscheidungsprozesse zu designen, die die kollektive Intelligenz und Diversität integrieren. Gute Intentionsbildung ist Co-Kreation – die Bildungen einer Schnittmenge aus unterschiedlichen Individualitäten: Das passiert ständig, unbewusst meistens und oft auch zu unstrukturiert. Schafft man dafür aber Räume und Werkzeuge, dann kann Intentionsbildung zu einem starken Momentum werden.
Alleine schon die Chancengleichheit, die Menschen durch diesen aktiven Prozess erfahren, hat eine große Wirkung. So kommt man dann auch auf ein valides Ergebnis, auf eine Intentionsbildung, die für das Individuum und das Kollektiv funktioniert.
Intentionsbildung heißt das ökosystemische Bewusstsein erhöhen. Wir alle müssen mit dem Dilemma zurande kommen: Auf der einen Seite zwingt uns die wachsende Komplexität zu Spezialisierung und Fragmentierung im Unternehmensalltag. Ständig sind wir gefordert, das „große Ganze“ in überschaubare, bearbeitbare Teileinheiten und Teilschritte zu zerlegen. Die Herausforderung dabei ist – und auch das kennt jeder – die Verbindung zwischen den Einzelteilen zu erhalten, denn es liegt in der Natur der Spezialisierung, dass sie den Fokus auf die eigene Rolle, das eigene Tun verstärkt und anderes dafür ausblendet. Dementsprechend wichtig ist es, die gemeinsame Intention, also den Blick über den eigenen Tellerrand auf das große Ganze, immer wieder ins Bewusstsein zu bringen. Dass die Feedbackback-Schleifen zwischen Individuen und Kollektiv in der Schnelllebigkeit unterbrochen werden, das passiert ganz von allein; sie aber wieder zu schließen, nicht. Der Weg aus dem Bubble- und Container-Denken ist gemeinsame Intentionsbildung und die Stärkung eines ökosystemischen Bewusstseins für die gemeinsame Sache.
SF: Warum brechen wir denn unsere eigenen Intentionen so gern, und schon so früh? Stichwort: statistischer Breaking Day am 18.01.
MH: Eine Erklärung ist, dass wir als Kultur und Gesellschaft allgemein viel zu sehr auf das Wie und Was, auf Prozesse, Produkte, Leistungen und Zahlen fokussiert sind und zu wenig auf das Woher und Warum, auf tiefere intentionale Schichten, wo unsere Entscheidungen und Handlungen entstehen. Wir legen Ziele und Budgets fest, wir zeichnen Vision Boards, formulieren Mission Statements, designen Prozesse, doch auf das Wesentlichste vergessen wir mitunter: Welche Voraussetzungen müssen wir in uns selbst, in unseren Teams schaffen, um von einer Absicht A zu einem Ziel Z zu kommen? Was können wir tun, damit unsere drei Gehirne im Kopf, im Herzen und im Bauch so zusammenarbeiten, um das Schwungrad von Intention zu Ergebnis in Gang zu bringen und in Bewegung halten zu können? Der Irrtum ist, das Wunsch und Wille ausreichen würden und deshalb bleibt es oft bei der Ankündigungsweltmeisterschaft.
SF: Was hemmt denn dieses Schwungrad, das uns von Intention zu Ergebnis bringt?
MH: Aus meiner Erfahrung ist das unsere Tendenz, Schattenaspekte auszufiltern. Jeder kennt Meetings, wo entscheidende Dinge von niemandem angesprochen werden, obwohl sie eindeutig wahrnehmbar für alle „im Raum stehen“. Sie werden nicht angesprochen, weil die Vertrauensbasis fehlt, in denen Menschen ihre emotionalen Wahrnehmungen äußern. So entsteht eine energieraubende Atmosphäre mit doppelten Böden und hidden agendas. Gute Intentionsbildung bedeutet, auch unangenehme Aspekte ans Licht zu bringen.
Letztlich führen uns Intentionen an Weggabelungen. Wir müssen entscheiden, welche Interpretation von uns selbst und unseres Kollektivs wir nicht mehr sein wollen. Was wollen wir verlernen? Was hinter uns lassen? Und für welche Version von uns wollen wir uns entscheiden? Intention ist immer loslassen und kommen lassen. Wir stehen durch die Intention auch vor dem Schritt ins Nichts. Genau das aber exzessiv und aktiv zu betreiben, das fehlt sehr oft.
Keine kraftvolle Intention entsteht, ohne Schattenaspekten Raum zu geben und uns ins Ungewisse zu begeben. Das passende Bild ist der Trapezkünstler: Er baut den Schwung an einem Trapez hängend immer mehr auf, während ihm das andere entgegen schwingt. Und dann kommt irgendwann der entscheidende Moment des Loslassens, in dem alle den Atem anhalten – diese Sekunde zwischen dem nicht mehr und dem noch nicht, ehe er wieder zupackt und sicher am zweiten Trapez schwingt.
Was sagt uns die Metapher? Die Intention ist, dass die Übung gelingt – klar! Doch bevor sie gelingt, und vor allem damit sie immer wieder gelingt, braucht es wesentlich mehr, als nur den tosenden Applaus des Publikums zu visualisieren: Der Trapezkünstler macht die Übung der Übung zu seiner Lebenseinstellung – Ernährung, Schlafen, mentales und physisches Training. Und er setzt er sich auch mit der Frage auseinander: Wie reagiere ich, wenn ich einmal daneben greife?
Mit privaten und unternehmerischen Intentionen ist es nicht anders: Entscheidend ist, wie hoch wir sie priorisieren und wie viel Aufmerksamkeit wir darauf disponieren.
SF: Wo scheitern wir in diesem Prozess am häufigsten als Unternehmen?
MH: Wir wollen die Übung gelingen lassen, ohne die Übung entsprechend üben zu wollen, einen Abkürzer zum Endergebnis nehmen. Tendenziell wird zu wenig in Intentionsbildung und -kultivierung investiert und als Rechtfertigung dienen Argumente wie Zeit, Geld, andere Prioritäten. Das Um und Auf im ersten Schritt ist eine Art Feldkultivierung oder Humusaufbereitung. In unseren Breiten ist der Prozess, den es braucht, noch nicht in so einem Ausmaß aktiviert, wie das ganz sicher in den nächsten Jahren kommen muss. Außerdem entsteht durch den Prozess eine unglaubliche Komplexität zwischen Unternehmen und Individuen. Die Schwierigkeit: Wie schafft man Brücken?
SF: Welche Empfehlungen kannst du Unternehmen aus deiner Erfahrung geben, um Intentionen auch wirklich zu implementieren?
Es braucht eine gemeinsame Ausrichtung. Wenn die Intention nicht spezifisch genug ist, scheitert es schon. Es geht darum, ein Kollektiv an Menschen auf einen gemeinsamen Sinnhorizont auszurichten. Soweit die Theorie. In der Praxis gilt es natürlich mit Heterogenität und Wertekonflikten umzugehen. Die gemeinsame Intention ist die Brücke, über die alle gehen können. Und das Baumaterial für die Brücke ist ein besseres Verständnis des gemeinsamen Ziels, aber auch der individuellen Bedürfnisse, Sorgen und Wünsche.
Es ist wichtig Räume und Methoden für gemeinsame Intentionsbildung zu kultivieren und daraus in Unternehmen eine Routine zu machen. Mit feldbasierten Methoden erreicht man in einem Minimum an Zeit ein Maximum an Synchronisation. Das fühlt sich dann nicht nach Meeting oder Workshop an, sondern ist eine spielerische Erweiterung des eigenen Gesichtsfelds, einfach nur dadurch, dass eine Möglichkeit zum Perspektivwechsel geschaffen wird.
Die Wahl des richtigen Settings ist entscheidend. Loslassen und Kommenlassen, das Antizipieren der Zukunft braucht passende Rahmenbedingungen und Werkzeuge, ansonsten findet eine Rückkoppelung ins emotionale System nicht statt.
Es ist ein eigenes doing, die Intention immer wieder zu priorisieren – kollektiv und individuell. Sie zu spezifizieren, zu ritualisieren und zu schauen, wie wir sicherstellen, dass nicht nur ein einziger einen großen Plan hat, sondern dass dieser große Plan, die Intention, Mission, Vision geteilt wird von allen. Beliebigkeit erschafft Beliebigkeit. Viele Entscheidungs-, Identitäts-, Intentions- und Kulturprozesse passieren in Unternehmen en passent – ohne entsprechende Widmung und Bedeutungsgebung.
Ein Beispiel wäre, so wie wir das im Vorjahr einen Tag lang mit tochter gemacht haben. Man schafft einen rituellen Rahmen und gibt dem Vorgang der inneren Ausrichtung Priorität und Bedeutsamkeit. Welche Fragen will und soll ich mir stellen? Das dürfen keine flachen Allerweltsfragen sein, sondern Fragen, die uns emotional bewegen – wie wir es auf dem gemeinsamen Trail im Wald gemacht haben. Die Fragen führen, gepaart mit entsprechenden Methoden und Ritualen, zu neuen multisensorischen Erfahrungen und diese wiederum bringen innerlich etwas in Bewegung – unsere Neurobiologie verändert sich, unsere Gedanken verändern sich, unsere Entscheidungen verändern sich, unsere Handlungen verändern sich. Das ist der Anfang, damit jede Übung gelingt.
Eine Frage, die man sich stellen kann, ist: Wenn dein jüngeres Selbst, das sich entschieden hat, diese Laufbahn einzuschlagen, jetzt im Raum wäre, welche Zwischenbilanz würde es ziehen? Und was würde dein älteres Selbst sagen, was jetzt schon gelungen ist? Vor welchen Tendenzen würde es warnen und worauf ist es jetzt schon stolz?
–
Michael Holzer ist Begleiter und Berater von Unternehmen und Institutionen, Coach von Persönlichkeiten mit exponierten Rollen und Facilitator für Teamentwicklung und -kohärenz. Er begleitet tochter von (bzw. vor) Anfang an. Und sonst? Die Berge, die Jagd, der Sport, das Meer und die Philosophie.
Image: Fisher, Ellen T. Publisher: L. Prang & Co. Date: [ca. 1861–1897] https://www.digitalcommonwealth.org/search/commonwealth:9593tv98p