Wir haben diesen Sommer Univ.-Prof. Dr. Barbara Prainsack gebeten, fünf Thesen zur Zukunft der Kreativ- und Wissensarbeit aufzustellen. Dann haben wir Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen aus Forschung, Gesundheit, Medien und Kommunikation an einen Tisch gebeten, um diese aus unterschiedlichen Perspektiven zu diskutieren. Die fünf Teilnehmer:innen fanden in einem regen Austausch Gemeinsamkeiten und Gegensätze. Das Gespräch (das Transkript hatte eine Länge von 16.833 Wörtern) wurde aus Gründen der Länge und zur besseren Lesbarkeit redigiert.
Panel (a-z): Barbara Prainsack (Universität Wien), Elisabeth Großschädl (period.), Konstantin Jakabb (tochter), Lukas Mayrl (Mavie Next), Sabine Fried-Peer (tochter)
Text: Anja Berger und Marcus Opitz (beide tochter)
“Ich bin am Bauernhof aufgewachsen, den gesonderten Begriff der 'Arbeit' gab es da nicht, Leben und Arbeiten waren nicht getrennt – so lebe ich das jetzt auch in meinem Alltag.”
– Elisabeth Großschädl, Herausgeberin period.
Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen. Wir waren sieben Personen im Haushalt, meine Großeltern, meine Eltern, meine Geschwister und ich. Bei uns gab es den gesonderten Begriff “der Arbeit" nicht, denn alles war integriert - alle Bereiche und da wiederum auch alle “verfügbaren” Menschen. So aufzuwachsen hat mich geprägt. Die Worte “Ich gehe in die Arbeit” kommen mir daher nicht über die Lippen. Mir fällt es sehr schwer zu definieren wer und was Arbeitsalltag ist, wo es anfängt und aufhört.
Neben der existenziellen Frage ist für mich wichtig: Wie will ich mein Leben füllen? Mit welchen Tätigkeiten, welchen Menschen und welchen Werten? Ich glaube, da tut sich auch gesellschaftlich gerade sehr viel: Was ist Arbeitszeit und welche Wertigkeit hat sie?
Sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen ist auch in Hinblick auf künstliche Intelligenz wichtig geworden. Wir wissen noch nicht was da auf uns zukommt und welche Bereiche in welcher Form - positiv wie negativ- beeinflusst sein werden. Es wird Arbeitsbereiche geben, die stark negativ betroffen sein werden. Ich denke da an einen großen Teil der Kreativbranche, u.a. Texter:innen, Sprecher:innen, Schreiber:innen und Übersetzer:innen - Personen, die oft als EPUs unterwegs sind, in prekären Verhältnissen arbeiten und vorwiegend weiblich sind. Ich kann die einsetzende Panik hier nachvollziehen. Hier gibt es keine wirklich einfache Lösung.
“‘Doing good and doing well’ – so sollten eigentlich alle agieren.”
– Lukas Mayrl, Managing Director von Mavie Next
Ich hatte nie einen vordefinierten Karriereplan. Für mich gab es in verschiedenen Phasen meines Lebens unterschiedliche Motivationstreiber. Was sich mit der Zeit immer stärker gezeigt hat, war, dass ich mit meinen Fähigkeiten und Erfahrungen einen positiven Impact in der Welt generieren wollte. Diese Möglichkeiten hatte ich bereits bei Red Bull, wo wir z.B. Start-ups unterstützt haben, die im Rahmen ihrer Geschäftsmodelle auch einen positiven Einfluss auf die Welt hatten. Die Kombination aus dem Wirtschaftlichen und dem Sinnvollen ist für mich in der Arbeit wichtig. “Doing good and doing well” habe ich von Social Entrepreneurs mitgenommen, die ihre sozialen Projekte nicht nur in Townships und Favelas, sondern auch mittlerweile rund um die Welt durch Wirtschaftlichkeit umsetzen konnten.
Obwohl Studien zeigen, dass die meisten Menschen nicht in ihren Arbeitsplatz investiert (sprich engaged) sind, denke ich, dass die Mehrheit es gern sein würde. Neben Wirtschaftlichkeit ist deshalb Sinn, ein wahrer Purpose für Unternehmen wichtig – das nicht nur wie oft verstanden bezogen auf die Umwelt, also Nachhaltigkeit, sondern auch auf Menschen und ihre Gesundheit. Was biete ich als Unternehmen meinen Mitarbeiter:innen?
Ein Beispiel aus meinem Unternehmen: Wir versuchen so wenige Regeln wie möglich aufzustellen. Wir wünschen uns, dass Menschen wieder im Büro präsent sind – aber wir haben keine Regeln, dass sie da sein müssen. Wir messen es auch nicht und es hat keine Auswirkungen auf die Bewertung der Performance. Wir bemühen uns aber, eine Umgebung zu bieten, die so attraktiv ist, dass die Mitarbeiter:innen gerne kommen. Auch Urlaubstage werden in Eigenverantwortung ohne Vorgaben geplant. Hier mischen wir uns als Vorgesetzte nicht ein, außer, dass wir darauf schauen, dass der Urlaub auch wirklich genommen wird. Wenn aber jemand vor einem Urlaub alles liegen und stehen lässt und kein Hand-over macht und niemand Bescheid weiß, bekäme sie oder er gleich Feedback. Freedom und responsibility ist gleich accountability. Dieser Zugang ist Teil unserer Identität, kein Perk oder Benefit.
“Ein ganzheitlicher Blick auf Arbeit: Wie werde ich zu einer Person, die ich sein will und die auch in der Gesellschaft einen positiven Beitrag leistet?”
– Univ.-Prof. Dr. Barbara Prainsack, Professur für Vergleichende Politikfeldanalyse, Institut für Politikwissenschaft
Arbeit ist mehr als nur der Bereich der Erwerbsarbeit, der heute in unserer Gesellschaft im Begriffsverständnis dominant ist. Nach Frigga Haug verstehen wir darunter auch beispielsweise Kulturarbeit und Reproduktionsarbeit. Die Frage ist: Wie werde ich zu einer Person, die ich sein will und die auch in der Gesellschaft einen positiven Beitrag leistet? Es zählt ein ganzheitlicher Blick aufs Tätigsein.
Ein wichtiger Trend, der zwar in der Fachliteratur diskutiert wird, aber in der öffentlichen Debatte zu wenig Raum hat, ist die Verdichtung der Arbeit. Dabei ist das ein großes Problem. Denn zahlreiche Menschen gehen nicht in Teilzeit, weil sie reich oder faul geworden sind, sondern weil sie einen Vollzeitjob nicht mehr schaffen. Das gilt gerade für die Kreativbranche und den Journalismus.
Eine Ursache des Problems liegt darin, dass Menschen viel zu wenig direkt gefragt werden, was sie eigentlich brauchen. Manchmal geht es um große Dinge wie fehlende Wertschätzung. In manchen Fällen geht es hingegen nur darum, eine halbe Stunde früher oder später mit der Arbeit beginnen zu können. Was der Lösung des Problems hier oft im Weg steht ist die Überzeugung der Unternehmer:innen, dass für alle dieselben Regeln gelten müssen. Menschen haben aber unterschiedliche Bedürfnisse. Wichtiger als das starre Festhalten an universellen Regeln ist, dass alle das Gefühl haben, gehört zu werden – und dass Aufgaben gerecht verteilt werden. Dann werden Arbeitnehmer:innen auch darauf vertrauen, dass die andere Person, die jetzt eine halbe Stunde später kommen darf, an anderer Stelle mehr beiträgt. Es geht darum, die Bedingungen dafür zu schaffen, dass Menschen gute Erwerbsarbeit leisten können. Wären 32 – oder auch 34 oder 36 Stunden – die neue Normalarbeitszeit, würden viele Menschen, die heute in Teilzeit sind, zu Vollzeit wechseln. Insgesamt geht es darum, Wohlstand gerechter zu verteilen und gutes, nachhaltiges Arbeiten für alle zu ermöglichen.
“Sprache ist wichtig. Mir fehlt in der Gesellschaft die Diskussion über den Arbeitsbegriff an sich.”
– Sabine Friedl-Peer, Konzept, Redaktion, Pop und Kimchi bei tochter
Sprache ist wichtig. Das Bewusstsein, dass es beim Thema Gendern schon in Teilen gibt, fehlt beim Arbeitsbegriff. Ich würde mir in der Gesellschaft eine Diskussion über unser Verständnis von Arbeit wünschen. Das gilt auch in der Kommunikationsbranche, wo wir oft denken, dass wir alle automatisch auch gute Kommunikator:innen sind, gerade über Themen auf dieser Ebene aber nicht gut sprechen.
Ich habe als Arbeitnehmerin den Grundanspruch, dass ich als Mensch wahrgenommen werde und auch mitgestalten kann und ein Gespräch auf Augenhöhe, in dem der Rahmen festgelegt wird. Dafür brauche ich keine lange Liste an Benefits oder den obligatorischen Obstkorb, an den ich immer denken muss. Gleichzeitig sind es oft die Firmen, die die längsten Benefits-Listen führen, wo etwa weniger bezahlt wird.
(Sabines Artikel zum Thema Arbeit bei tochter ist in Arbeit.)
“Den Blick nicht auf ‘die gute Arbeit’, sondern auf ‘das gute Leben’ richten.”
– Konstantin Jakabb, Kontext, Marketing und Hospitality bei tochter
Es gibt Menschen, die sagen: “In der Arbeit bin ich ganz präzise, aber als Privatperson bin ich chaotisch.” Da denke ich mir: Es gibt nur die eine Person – egal, ob ich jemanden im Büro oder in einem Café treffe. Warum wurde uns antrainiert, in unserer Selbstwahrnehmung radikal unterscheiden zu müssen? Viel wichtiger als Arbeit und Leben zu trennen, ist, dass die Arbeit zum Leben und auch zur Lebensphase passt. Da gibt es schließlich unterschiedliche Ansprüche: in einer Phase ist mir am wichtigsten, was ich verdiene, in einer anderen, dass ich die größte Erfüllung oder die nettesten Kolleg:innen habe und manchmal muss einfach der Jobtitel der richtige sein.
Als wir vor kurzem eine Stellenausschreibung geschrieben haben, hatten wir zuerst den Punkt Benefits dabei. Dann haben wir ihn gestrichen – denn im Endeffekt soll jemand bei uns arbeiten, der an unsere Vision und Identität glaubt und nicht, weil wir eine Reihe austauschbarer Add-ons bieten. Die Gefahr von Benefits ist ja auch, dass sie dazu dienen, Menschen auszunutzen – wie bei großen Tech-Unternehmen, wo am Campus alles bis inklusive Katzenfriseur gratis ist, damit ja niemand den Arbeitsplatz verlässt.
Wir schreiben deshalb in unserer Eigenkommunikation, was das Unternehmen im Kern besonders macht. Und gleichzeitig legen wir offen, dass das zwar viele positive Facetten sind, aber dass der Weg, um sie zu erreichen, unpopulär, ungepflastert und schwierig ist. Wir haben das auch intern so besprochen, dass wir ein Unternehmen sein wollen, das auf neuen Pfaden unterwegs ist, auch wenn das herausfordernd oder ungelernt ist. Da ist es dann aber auch okay, wenn jemand sagt: “Verstehe ich, aber daran habe ich kein Interesse."
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Wir danken allen Panel-Teilnehmenden für den offenen Austausch und Barbara Prainsack für ihre Thesen zur Zukunft der Kreativ- und Wissensarbeit. Ihr Buch "Wofür wir arbeiten" erschien beim Brandstätter-Verlag. Elisabeth Großschädl ist Herausgeberin von und publiziert bei period. Lukas Mayrl ist Managing Director bei Mavie Next, einem Corporate Start-up, welches Lösungen für Gesundheit und Wohlbefinden entwickelt. Sabine Friedl-Peers und Konstantin Jakabbs Beiträge können hier auf tochter.com gelesen werden.